Zur Durchsuchung zum Zwecke der Ermittlung der Vermögensverhältnisse
Dieser Beitrag befasst sich mit der Frage, ob ein Durchsuchungsbeschluss ergehen darf, um die Vermögensverhältnisse des Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten zu ermitteln. Diese Frage hat in der Theorie extreme Relevanz, da eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren entweder mit der Einstellung gegen eine Geldauflage oder mit dem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls durch die Staatsanwaltschaft enden. In beiden Fällen sind die Vermögensverhältnisse insbesondere das monatliche Nettoeinkommen des Betroffenen für die Staatsanwaltschaft relevant, da sich beim Strafbefehl die Tagessatzhöhe und bei einer Einstellung gegen Geldauflage die Höhe der Auflage nach den Vermögensverhältnissen richten. In der Praxis werden solche Durchsuchungsbeschlüsse zur Ermittlung der Vermögensverhältnisse jedoch selten von der Staatsanwaltschaft beantragt. Dennoch ist es als Strafverteidiger unerlässlich, den Mandanten – insbesondere in Wirtschaftsstrafverfahren – über das potenzielle Risiko der Anordnung einer Durchsuchung zum Zwecke der Ermittlung der Vermögensverhältnisse proaktiv aufzuklären.
Zum Autor:
Dieser Beitrag wird von Herrn Rechtsanwalt Luigi A. Carta verfasst. Herr Rechtsanwalt Carta ist als Anwalt für Strafrecht in München sowie deutschlandweit tätig. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht, Steuerstrafrecht, Unternehmensrecht und PR-Recht.
Darf das Amtsgericht auf den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung zur Ermittlung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einen Durchsuchungsbeschluss erlassen?
Mit dieser Frage hatte sich bereits das Bundesverfassungsgericht (Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16.8.1994-2 BvR 983/94) zu befassen. Das Bundesverfassungsgericht ging in seinen Beschlussgründen davon aus, dass verfassungsrechtlich Durchsuchungen beim Beschuldigten nach § 102 StPO zur Ermittlung der Vermögensverhältnisse nicht grundsätzlich unzulässig sind. Nach § 160 Abs. 3 S.1 StPO können und haben sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auch auf solche Umstände und Tatsachen zu erstrecken, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Tat von Bedeutung sind.
Hierzu zählen auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des vom Ermittlungsverfahren Betroffenen § 46 Abs. 2 S. 2 StGB. Daraus lässt sich schließen, dass es im Ermessen der Staatsanwaltschaft steht, ob sie einen entsprechenden Antrag beim Amtsgericht stellt. Weiterhin steht es auch im Ermessen des Amtsgerichts, ob es auf den Antrag der Staatsanwaltschaft hin einen Durchsuchungsbeschluss auch tatsächlich erlässt.
Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung
Auch wenn ein solcher Durchsuchungsbeschluss grundsätzlich zulässig ist, so muss die Anordnung der Durchsuchung verhältnismäßig sein. Art. 13 Abs. 1 GG schützt die persönliche Lebenssphäre, in welche durch eine Durchsuchung schwer eingegriffen wird. Aufgrund eines derart erheblichen Eingriffs bedarf es eines besonderen Bedürfnisses dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen. Die Durchsuchung muss zunächst im Hinblick auf den bei der Ordnung verfolgten gesetzlichen Zweck Erfolg versprechen. Als weitere Voraussetzung muss gerade diese Maßnahme zur Verfolgung und zu der Ermittlung der zur Last gelegten Straftat erforderlich sein. Dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel und Maßnahmen zur Verfügung stehen. Als dritte Voraussetzung muss der jeweilige Eingriff im angemessenen Verhältnis zu der Schwere der zur Last gelegten Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen.
Es ist zwar grundsätzlich Sache der Ermittlungsbehörden in welcher Reihenfolge Ermittlungshandlungen vorgenommen bzw. angeordnet werden und entsprechend über die Zweckmäßigkeit solcher Ermittlungshandlungen zu entscheiden, dennoch geht das Bundesverfassungsgericht dann von einem unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff aus, wenn (naheliegende) grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahme ohne rechtfertigende Gründe entweder zurückgestellt werden, oder gänzlich unterbleiben und dadurch die vorgenommene Maßnahme in keinem Verhältnis zur Stärke des in dem jeweiligen Verfahrensabschnitt vorliegenden Tatverdachtes oder zu der Schwere der gelegten Straftat mehr steht.
Alternative, grundrechtsschonende Maßnahmen laut BVerfG
Nun stellt sich die Frage, wie Ermittlungsmaßnahmen aussehen könnten, die grundrechtsschonender sind. Das Bundesverfassungsgericht nennt hierzu in seiner neusten Entscheidung (vgl. BVerfG, Beschluss v. 15.11.2023 – 1 BvR 52/23 (LG Heilbronn)) – am konkreten Fall, welcher der Entscheidung zugrunde liegt – einige weniger einschneidende Maßnahmen. Zum Beispiel ist es naheliegender und grundrechtsschonender, den Verteidiger des vom Strafverfahren / Ermittlungsverfahren Betroffenen zunächst um Stellungnahme zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen zu bitten. Weiterhin sind Anfragen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin-Abfrage), oder die Ermittlung von Bankkonten und Bankdepots (vgl. 24c Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Kreditwesengesetz) grundrechtsschonendere Maßnahmen. Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht in der vorstehend zitierten Entscheidung eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Dienstherrn (der Beschwerdeführer war Beamter) als schonendere Maßnahme genannt.
Wobei an dieser Stelle Erwähnung finden muss, dass eine BaFin-Anfrage und darauf folgende Bankanfragen in Anbetracht des Umfangs der damit verbundenen Erhebung, insbesondere im Hinblick auf die darin enthaltenen sensiblen Daten, einen beachtlichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen darstellen. In logischer Konsequenz wäre inzident zu prüfen, ob eine BaFin-Anfrage als milderes Mittel zur Durchsuchung bereits unverhältnismäßig ist. Wenn bereits aufgrund des erheblichen Eingriffs der BaFin-Abfrage in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Verhältnismäßigkeit der BaFin-Abfrage als Maßnahme nicht gegeben ist, so muss eine Durchsuchung der Wohnung als intensivere Maßnahme erst recht als unverhältnismäßig angesehen werden. Besonders interessant zu der Frage der Verhältnismäßigkeit einer BaFin-Abfrage zur Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse auch bei dem Verdacht von lediglich geringfügigen Straftaten, ist auch die Entscheidung des Oberlandesgericht Stuttgart (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. V. 13.02.2015 – 4 Ws 19/15).
Rückschluss auf weitere grundrechtsschonendere Maßnahmen
Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann der Schluss gezogen werden, dass die Ermittlungsbehörden auch zunächst den Versuch unternehmen sollten, den Arbeitgeber des vom Strafverfahren Betroffenen zu Ermitteln und bei diesem Informationen einzuholen. Ist der Arbeitgeber nicht bekannt und lassen die bisherigen Ermittlungen keinen Rückschluss auf diesen zu, so ist dieser ggf. auch durch Befragungen im Bekanntenkreis oder Nachbarn des Betroffenen zu ermitteln.
Fazit:
Die Anordnung der Durchsuchung des Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten und dessen Wohnräume zur Ermittlung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist nicht von Haus aus unzulässig, sondern grundsätzlich – auch wenn in der Praxis selten – möglich. Bei der Verteidigung sollte der Rechtsanwalt ein besonderes Augenmerk auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme legen und auf die grundrechtsschonenderen Maßnahmen verweisen.
Haben Sie Fragen?
Wir beraten Sie gerne umfassend zu Ihrem Anliegen im Einzelfall. Nutzen Sie das nachstehende Kontaktformular oder vereinbaren Sie telefonisch einen Termin.
Kontakt
08:00 Uhr – 18:00 Uhr
Addresse: Kaulbachstraße 51A, 80539 München
Email kanzlei@carta-law.de